16. November 2012

Das "Call of Duty"-Dilemma

Wenn irgendwo im Internet das Wort Call of Duty im Zusammenhang mit (finanziellem) Erfolg fällt, dann dauert es nicht lange bis die erste Person auftaucht die das Spiel in ein schlechtes Licht rückt. Tatsächlich bekommt man schnell den Eindruck, dass Call of Duty, gemeinsam mit Michael Bay, Twilight und dem Free-To-Play Modell, zu den am meisten gehassten Bestandtteilen der modernen Unterhaltungsindustrie gehört. Doch wie die Filme von Michael Bay ist die Call of Duty-Serie das erfolgreichste Videospiel Franchise unserer Zeit - jüngsten Quellen zu Folge hat alleine der neue Ableger Call of Duty Black Ops II sich am ersten Tag weltweit mehr als 6,5 Millionen mal verkauft. Das ist mehr als doppelt so oft wie Halo 4 und mehr als sechs mal so viel wie Medal of Honor Warfighter. Doch wie kann ein Produkt das mit so viel Hass zu kämpfen hat konstant über Jahre hinweg erfolgreich sein? Und woher kommt all der Hass der von Spielern auf Call of Duty projiziert wird?
Betrachtet man genauer was Spieler in Foren oder im Social Web an Call of Duty kritisieren, dann lassen sich folgende Punkte herauskristallisieren: Mangel an (technischer) Innovation, uninspiriertes Leveldesign ("Schlauchlevels"), sowie die Tatsache, dass viele andere Games-Publisher vermehrt auf Game Design-Entscheidungen Wert legen die sich in Call of Duty offenbar erfolgreich bewährt haben. Ich werde diese Punkte im Folgenden kurz einzeln durchgehen.


Mangel an Innovation 
Die meiste Kritik in diesem Bereich orientiert sich an der Grafikqualität der Call of Duty-Spiele sowie dem Design von Multiplayer und Single Player. Insbesondere was die Grafikqualität angeht ist dies durchaus berechtigt, denn die Call of Duty-Serie hat hinsichtlich der genutzten Engine seit Call of Duty Modern Warfare im Jahr 2007 keine großen Experiemente gewagt. So nutzt auch Black Ops II eine erweitere Form der IW Engine die einst vom Entwicklungsstudio Infinity Ward entwickelt wurde. Zwar wird diese Engine von Serienableger zu Serienableger weiterentwickelt (beispielsweise hinsichtlich der Texturdarstellung, Licht- und Schattendarstellung sowie jüngst auch DirectX 11-Support), doch es gibt keine einschneidenden Weiterentwicklungen wie beim Konkurrenzprodukt Battlefield 3, bei dem die neue Frostbite Engine eingesetzt wurde.
Dennoch lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass auch das neue Black Ops II grafisch - zumindest auf den Konsolen - noch immer sehr gut und flüssig aussieht; eine Eigenschaft die Konkurrenzprodukte wie Battlefield 3 nur auf dem PC in der Deutlichkeit übertreffen die Call of Duty-Gegner gerne anbringen.

Level Design - Von Moorhühnern und Schläuchen
Deutlich schwieriger ist die Auseinandersetzung mit der Innovation beim Missionsdesign. Noch vor einem Jahr, als Modern Warfare 3 erschienen ist, hätte ich jedem zugestimmt der gesagt hat "Call of Duty ist immer das selbe: Laufe von A nach B während du auf Moorhühner schießt". Doch mit Black Ops II wurde auch diese Art von Game Design - zumindest teilweise - aufgebrochen.
Spieler haben im neuen Ableger der Reihe die Möglichkeit unterschiedliche Routen innerhalb der Missionen zu nehmen, sowie Entscheidungen zu treffen die sich direkt auf den weiteren Spielverlauf und die unterschiedlichen Enden auswirken. Zwar sind diese neuen "Zutaten" nichts grundlegend besonderes (bereits Gears of War bot alternative Laufwege innerhalb der Missionen; bedeutende Entscheidungen gehören in Spielen wie The Walking Dead oder Mass Effect zum Inventar), doch in Kombination mit dem 0815-Militärshooter-Design wie wir es kennen sind diese neuen Gameplay-Elemente durchaus erfrischend und "offener" (more open-minded) als die Ansätze diverser Konkurrenzprodukte.
Deutlich weniger experimentierfreudig ist man hingegen im Bereich des Multiplayers. Zwar wurde im Rahmen der verschiedenen Ableger immer am Belohnungssystem gefeilt (Kill Streaks, Assist Kills, Charakterindividualisierung etc.), doch im Kern kann man die unterschiedlichen Spiel-Modi noch immer auf Deathmatches, Capture The Flag, Horde-Mode u.ä. herunterbrechen. Doch genau diese Modi sind es die einen erheblichen Teil der Käuferschicht zum Kauf animieren und an das Spiel fesseln, so wie es einst Counter-Strike, Quake 3 Arena oder Unreal Tournament getan haben - nur mit einer deutlich größeren Menge an Usern.

Entscheidungen innerhalb des Spiels waren schon in Mass Effect von besonderer Bedeutung
  
Kreativität Vs. Kommerz - Der Kreislauf des Kopierens
Als ich in der 8. Klasse war kam ich eines Morgens in den Physik-Unterricht und musste mit Erschrecken feststellen, dass für genau diesen Tag ein Physik-Test angekündigt war. Völlig unvorbereitet und mit meiner gottgegebenen Unfähigkeit physikalische Zusammenhänge zu verstehen, war ich mit einer hoffnungslosen und überfordernden Situation konfrontiert. Die einzige Möglichkeit diesen Test zu bestehen, war es von meinem Schulfreund (einem Physik-As) abzuschreiben. Als eine Woche später der korrigierte Test verteilt wurde, bekam mein Schulfreund seinen Test als erstes zurück - mit einer 1. Erleichterung machte sich in mir breit, denn da ich einen Großteil abgeschrieben hatte, musste ich ja so mindestens eine 2 haben. Doch als ich meinen Test zurückbekam, konnte ich meinen jungen Augen kaum trauen: eine 5. Grund dafür war der, dass ich zwar überall die korrekten Werte stehen hatte, jedoch nicht die entsprechenden Einheiten (W, KW, V etc.), wodurch es zu heftigen Punkteinbußen kam. Beim Abschreiben für den Test war ich mehr auf das Mathematische fixiert, d.h. auf nachvollziehbare Rechenabläufe, während das Physikalische, d.h. die Einheiten, von mir garnicht als wichtig bzw. gar nötig eingestuft und entsprechend vergessen wurden.
Warum schreibe ich diese kleine Anekdote? Weil ich das Gefühl habe, dass genau dieser Denkfehler - auf einer höheren Ebene - der Grund für das derzeitige Durcheinander in der Videospielindustrie ist.
In einem Interview mit der Internetseite Kotaku sagte der der Designer und Autor von Final Fantasy XIII, Motomu Toriyama, folgendes:
"The basic RPG functions are to go into towns, prepare for battle by going to shops, then go out in the field," Toriyama explained. "In that sense, Final Fantasy XIII doesn't have towns or shops—it's more that players are thrown into a story, presented with different situations as they move forward in the field and keep progressing that way. [...] In that sense it's more similar to an FPS genre, like Call of Duty," he said. "That's not to say it's an action shooting game at all, so Final Fantasy XIII takes some different aspects of different genres, transcending different types of games." Quelle: Kotaku
Genau diese Art von Denken ist die Problematik.
Jeder der Final Fantasy XIII gespielt hat wird wissen welche Design-Entscheidungen er letztendlich beschreibt: Enge und lineare Welten, bis zum letzten Drittel des Spiels kaum Erkundungsmöglichkeiten der Spielwelt, kaum NPC-Interaktion und alle 10 Meter eine getriggerte Zwischensequenz. Wie durch den negativen Unterton schon angedeutet, sind dies alles weder Spielelemente die die Call of Duty-Spieler an der Spielreihe besonders wertschätzen (Beispiele wären eher der Multiplayer), noch sind es Elemente die sich problemfrei auf ein (japanisches) Rollenspiel übertragen lassen.


Hat Final Fantasy XIII von seinen Call of Duty-Einflüssen profitiert?

Ähnlich verhält sich die Problematik beim kürzlich erschienenen Resident Evil 6. Auch hier betonte Capcom in Form von Head of Marketing Dave Turner, dass ein actionreicherer und an Call of Duty orientierter Ansatz für die Spielreihe Resident Evil Sinn mache:
“We’ve seen the popularity of Resident Evil increase massively as the series became more action oriented – Resident Evil 5 is the biggest seller in the series. So, it makes sense for us to follow this action area more fully. [...] The dream would be that the millions of Call of Duty fans that are enjoying these fast-paced online games are attracted to this Resident Evil.Quelle: Gamingbolt
Wie auch SquareEnix überschätzt Capcom die Kompatibilität seiner IPs mit den Production Values die die Call of Duty-Reihe bei ihren Fans so beliebt machen. Der VS-Multiplayer-Modus von Resident Evil 6 ist so bestenfalls passabel, während die Kampagne nicht ansatzweise die Dynamik und Immersion in die Action ermöglicht wie Call of Duty - alleine schon aus dem Grund, weil die Kameraperspektive, Steuerung und das Koop-Zusammenspiel nicht für die Art von Action ausgelegt sind, die Call of Duty diktiert.


Ist Resident Evil 6 mit der Action aus Call of Duty kompatibel?

Fazit
Was kann man nun schlussendlich über den Hass gegenüber Call of Duty aussagen? Ist er berechtigt?
Ich denke nicht. Call of Duty gehört sicherlich nicht zu den innovativsten Spielereihen unserer Zeit, aber sie ist in dem was sie tut außerordentlich gut: Schnelle, flüssige over-the-top Action, besonders im Multiplayer. Dabei ist sie bereit neue, wenn auch nicht bahnbrechende, Wege auszuprobieren - wie beispielsweise die multiplen Enden und verschiedenen Entscheidungswege. Technisch ist man mit ihr zwar nicht bereit einen Quantensprung nach dem anderen zu wagen, doch es wäre falsch zu sagen, dass es von Ableger zu Ableger keine Änderungen an der Engine vollzogen würden. Zwar merkt man der Engine ihr Alter an - insbesondere im Vergleich zur Frostbite Engine -, doch Trägheit auf Entwicklungsseiten lassen sich wenig verzeichnen.
Tatsächlich sehe ich bei Call of Duty keine Fehler die den Hass vieler Core-Spieler - abseits des persönlichen Geschmacks bei Videospielen - rechtfertigen würden.
Die Problematik liegt in meinen Augen vielmehr bei der Analyse der Konkurrenzunternehmen, wenn es darum geht sich an Game Design Aspekten der Call of Duty-Spiele zu bereichern.
Ich möchte keinem Game-Publisher oder Entwickler unterstellen, dass diese blind Aspekte aus Call of Duty herausgreifen und auf Teufel komm raus in ihren Spielen versuchen einzubauen (auch wenn dies manchmal den Anschein macht, siehe Final Fantasy XIII): Sicherlich wird viel im Bereich Meinungsforschung gemacht, seien es Interviews mit der Zielgruppe, Spieltests, Fokusgruppen u.ä., aber irgendwo muss bei der Interpretation der Daten ja der Hund begraben liegen.
Nicht jedes Franchise kann oder muss auf der dominanten Erfolgswelle einer einzelnen Spielreihe mitschwimmen. Nicht jedes Genre muss von Grund auf neuinterpretiert werden, nur weil diese Vorgehensweise in einem anderen Genre Früchte getragen hat. So wichtig Innovation in der Games-Branche ist, so wichtig ist es manchmal auch sich seiner Wurzeln zu besinnen. Final Fantasy ist ein Rollenspiel und kein interaktiver Film, Resident Evil ist ein Survival-Horror-Adventure und kein Third-Person-Shooter und Metal Gear Solid ist ein Stealh-Adventure und kein Open-World-Spiel (nur um schonmal etwas vorwegzunehmen).
Unvorteilhafterweise ist es jedoch so, dass Kritiken zu den oben genannten Spielen in eine ähnliche Kerbe schlagen, die Verkaufszahlen der Spiele jedoch etwas anderes sagen. So hat sich das mehr schlechte als rechte Resident Evil 6 weltweit bisher mehr 3 Millionen mal verkauft, wodurch es vermutlich ein finanzieller Erfolg ist.
Insofern bleibt mir hinsichtlich des Hasses auf Call of Duty nur eins zu sagen: Call of Duty ist in meinen Augen ein Spiel das sich über die Jahre immer treu geblieben ist. Die Problematik, dass immer mehr Spielepublisher sich an diesem Spielprinzip orientieren ist jedoch nicht die Schuld von Call of Duty. Vielmehr ist es die Schuld all derer, die diese Produkte wie Resident Evil 6 tatsächlich kaufen und den Publisher so dafür belohnen, dass uninspirierte und unpassende Ideen aus anderen Spielen das überschatten, was diese Spielreihen auszeichnet und groß gemacht hat. Anstatt das wir uns als Konsumenten nun also hinstellen und über eine Spielreihe jammern die offenbar 80% der AAA-Entwicklungen zu diktieren scheint, sollten wir uns auf unsere Macht als Konsumenten zurückbesinnen und darüber klar werden, dass nur durch Änderung unserer Nachfrage neue Produktideen die allumgreifende Ver-call-of-duty-sierung verdrängen können. Der finanzielle Misserfolg von Medal of Honor Warfighter ist vielleicht schon ein Anfang.



Quellen:
Kotaku: Final Fantasy XIII Creators On The Influence of Call of Duty, Card Games & The Toyota Prius
Gamingbolt: Capcom looking to attract Call of Duty fans with Resident Evil 6; ‘Action route makes sense’

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