6. März 2013

Narration: Die schizophrenische Darstellung von Realismus in Videospielen, oder: Tomb Raider

Mit dem Erscheinen des neuen Tomb Raider Spiels von Crystal Dynamics hat sich bei mir eine Frage aufgetan: Was ist eigentlich los mit der Spieleindustrie und dem Umgang mit Realismus in Videospielen?
Schon seit dem Anbruch der 3D-Ära versuchen Entwickler von AAA-Games möglichst viel Realismus in Computerspiele zu übertragen, seien es dynamische Lichteffekte, hochrealistische Physikberechnungen, anatomisch korrektes Ragdoll-Verhalten bei Non-Player Characters oder der Trend zum grafischen Fotorealismus.
Das sind keine schlechten Sachen, im Gegenteil. Jeder von uns Spielern möchte sicherlich, dass Grenzen immer weiter auseinandergedrückt werden und noch mehr in Videospielen möglich ist. Aber was mich wirklich nervt ist die Art und Weise wie Spieleentwickler, speziell bei Action-Games wie Uncharted oder Tomb Raider, nicht in der Lage sind Narrative und Gameplay in Einklang miteinander zu bringen.
Natürlich sind fiktionale Werke aus dem Actionbereich niemals realistisch, das Actionkino hat uns seit den 80er Jahren sprichwörtlich zur "willing suspension of disbelief" konditioniert, niemand von uns hinterfragt im Kino noch ob ein Auto das beim Schuss in den Tank explodiert, völlig egal wie oft wir die aberwitzigen "Geht das wirklich?"-Checks bei Galileo gesehen haben. Doch Videospiele treiben es auf eine Stufe, die mich mittlerweile regelrecht stört. Im Folgenden die Punkte die mich am meisten stören.

Cutscenes VS. Gameplay
Am offensichtlichsten ist dies beim neuen Tomb Raider-Spiel. Während die neue Lara, besonders zu Spielbeginn, in allen Cutscenes extrem angespannt und angewiedert mit Gewalttaten (wie dem Erlegen eines Rehs oder dem Mord an einem Fast-Vergewaltiger) umgeht, wird sie in den darauf folgenden Gameplay-Passagen zur Massenmörderin, indem sie locker 20 Gegner innerhalb von vier Minuten mit einem Maschinengewehr durchsiebt. Solche Kombinationen aus Gameplay und Narrative führen zum genauen Gegenteil von Empathie mit der Spielfigur, da sie auf diese Art nicht mehr greifbar ist. Die Figur ergibt keinen Sinn mehr. Und insbesondere in einem Videospiel, in dem man als Spieler in die Rolle der entsprechenden Spielfigur schlüpfen soll, ist sowas sehr problematisch. Man hat das Gefühl als würde man zwei Werke gleichzeitig spielen - die Handlung und das Gameplay, weil sich beide so fundamental voneinander unterscheiden.

Out-of-Character: Massenmörder
Genauso problematisch ist der Bodycount in vielen aktuellen Videospielen - speziell bei Uncharted. Hat jemand von euch mal gezählt wie viele Menschen Nathan Drake in allen Uncharted-Spielen summiert tötet, um seine Schatzsuchen zu bestehen? Weit mehr als 1000 Gegner.
Klar, es ist ein Videospiel. Trotzdem irritiert die Selbstverständlichkeit dieser Handlungen in den Spielen. Nathan Drake wird immerzu als smarter und weitgehend sympathischer Held dargestellt, was sich arg mit dem beisst was er im Spiel tut. Selbst Vorbilder wie Indiana Jones haben sich in ihren Abenteuern vorwiegend mit den Fäusten sprichwörtlich durchgeboxt und nicht ganze Elite Squads mit abgesägten Schrotflinten ins Jenseits geschickt.

Charakterentwicklung
Ich habe es schon in meinem Text zur RPG-fikation von Games: Die verkehrte Welt bei der Nutzung von RPG-Elementen angerissen: ein großer Störfaktor ist vor allem die Charakterentwicklung in Videospielen. Egal ob Far Cry 3, Tomb Raider oder Dead Island: So ziemlich jedes Spiel das Wert auf eine Charakterentwicklung vom "Normalo" hin zur ultimativen Kampfmaschine legt, entwickelt sich auf völlig unnachvollziehbare Art und Weise. Wenn ich mit meinen Freunden auf einer Insel von psychopatischen Paramilitärs angegriffen werde, dann bin ich am Ende des Tages nicht geübt im Einsatz von AK-47, Handgranate und Co. Wenn ich auf einer karibischen Insel von hunderten Zombies angegriffen werde, dann bin ich nach 10 Kills kein abgeklärter Zombiejäger der sich im Schuppen ála MacGuyver elektrische Macheten zusammenbastelt.

Gestern wurde ihr noch beim Jagen übel


Die Grundproblematik die sich letztendlich zeigt, ist die, dass viele Action-Spiele (die behaupten Wert auf eine nachvollziehbare Charakterentwicklung von Zero to Hero zu legen) versuchen viel zu viel in einem Spiel unterzubringen. Sie stehen in dem ständigen Spannungsfeld zwischen dem Gameplay das sie bieten möchten (dieser Tage tendenziell vor allem Action, Explosionen, bekloppte Jump 'n' Run Einlagen) und der Geschichte die sie erzählen wollen. Doch beides geht nicht. Das ist so als würde John McClane am Anfang von Stirb Langsam gerade aus der High School kommen, John Rambo am Anfang von First Blood gerade aus der Grundausbildung, oder Jean-Claude van Damme beim Turnier von Bloodsport gerade aus der ersten Karatestunde.
Wie wäre Tomb Raider, wenn Lara Croft beim Schießen durch den Rückstoß permanent die Waffe verziehen würde und gezwungen wäre sich durch die Levels zu schleichen oder Ablenkungsmanöver zu veranstalten? Wenn das Töten von bestimmten Gegnern stets ein Höhepunkt im Spiel wäre, in bester Bosskampf-Manier? Es würde viel mehr Sinn mit der Story machen, uns viel mehr Nervenkitzel und Survival-Feeling bescheren - es wäre, gemessen an der Ausgangsituation - glaubhaft und würde wahnsinnig viel Potential für Weiterentwicklungen in einem Sequel bieten. Aber es wäre weniger wie Uncharted und würde sich wohl nicht so rasant verkaufen - ya, there's that.


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