29. November 2012

Metacritic und die Inflation von Wertungen - oder: Die Krux des Game-Journalismus

Kaum eine Woche vergeht, ohne das irgendwo ein Producer, Geschäftsführer, Pressesprecher oder Produktmanager aus der Gamesbranche irgendetwas mit dem Metacritic Score begründet oder entschuldigt.
Der Metacritic Score ist dabei der Durchschnittswert aller Review-Scores aus der Fachpresse, u.a. auch aus der Games-Branche.
Dieser Wert hat in den letzten Jahren einen beängstigenden Stellenwert bei den Publishern bekommen. Vor nicht langer Zeit wurde u.a. berichtet, dass diverse Publisher den Entwicklern nur dann versprochene Bonuszahlungen gutschreiben, wenn das fertige Spiel nach Zeitpunkt X einen bestimmten Mindestwert bei Metacritic erhalten hat.
Diese Entwicklung ist äußert problematisch. Denn das schlimmste ist noch nicht einmal der Fokus auf den Metascore, sondern die Entstehung der einzelnen Spielewertungen bei den Fachmagazinen oder -portalen.

1. Das perfekte Spiel
Drehen wir die Uhr 6 oder 7 Jahre zurück, zurück in die Zeit der PlayStation 2 Ära.
Was war bei Reviews zu Videospielen damals anders? Unter anderem, dass auch Spiele die 75 oder 80% als Endwertung erhalten haben sehr gute und interessante Spiele waren. Silent Hill war z.B. - zumindest in deutschen Fachpresse - im Schnitt ein 80%-Spiel. Und dennoch gehört es heute zu einem der wichtigsten Game-Franchises (ok, zugegeben, Tendenz fallend). Ein 100% Spiel gab es damals einfach nicht.

"Silent Hill" ist - trotz "moderater" < 90 % Wertungen - zu einem der wichtigsten Spiele unserer Zeit geworden

Doch mit der neuen Generation an Konsolen wurden viele Gamesjournalisten übermütig, mitunter sicherlich weil die Grenze dessen was man kannte deutlich überschritten wurden. Grand Theft Auto 4 oder die Call of Duty-Reihe boten plötzlich eine (besonders grafisch) fantastische, kinoreife Präsentation, was viele Journalisten dazu brachte die absolute Todsünde unter der Gamesberichterstattung zu begehen - indem sie 10/10-Wertungen bzw gar. 100% Wertungen vergaben.

Warum das eine Todsünde ist?

Anders als der Film, bei dem solche Wertungen durchaus üblich sind, handelt es sich bei Spielen um interaktive Medien. Während ein Film also auch trotz seines Alters durch ein fantastisches Drehbuch, eine gute Kamera, gute Schauspieler u.ä. als lineare Erfahrung ein sehr gutes Produkt sein kann, wird ein Spiel erst durch den Spieler, den Regeln der Spielwelt und den Umgang mit diesen Regeln zu dem was es ist - es ist nunmal ein dynamisches Erlebnis. Und - anders als beim Film - gibt es bei dieser Ausgestaltung nahezu unendlich viele Umsetzungspotentiale. Und mit viel Auswahl kommt auch viel Fehleranfälligkeit, wodurch kein Spiel wirklich perfekt ist.
Schauen wir uns doch GTA4 heute an, welches von vielen Magazinen (u.a. GameSpot) eine 10 bekommen hat. Ist das Spiel wirklich perfekt? Ist es wirklich so viel besser als Saints Row The Third, Sleeping Dogs oder das bald kommende GTA5? Es hat ein hakeliges Deckungssystem, schlechte Checkpoints und (auf Konsolen) eine mittlerweile in die Jahre gekommene Grafik. Das Spiel ist schon heute - noch vor Ende dieser Konsolengeneration - in die Jahre gekommen. Auf der anderen Seite wird wohl keiner ernsthaft behaupten, dass The Thing From Another World von 1951 heute ein schlechter Film ist - die Regeln sind einfach andere.

Doch das ist gar nicht das Problem.

Das Problem ist der Trend und die Inflation von Wertungen die damit einhergehen. Heute wird so leichtsinnig mit Top-Scores um sich geworfen, dass Spiele unter 90% von Spielern schon misstrauisch beäugt werden, von Spielen unter 80% ganz zu Schweigen. Denn alle Reviews die erscheinen, müssen sich automatisch an den Scores der anderen Spiele messen. Und diese Problematik führt direkt zu Punkt 2.


2. Die Laune der Spieletester
Grundsätzlich gibt es für Spieletester der Fachmagazine zwei Möglichkeiten mit dieser Problematik umzugehen. Sie können sich entweder diesem problematischen Kreislauf beugen oder (krampfhaft) dagegen anschwimmen.
Beugt man sich dem Kreislauf, dann kommt so etwas wie das GameTrailers Resident Evil 6 Review von Shane Satterfield zustande. Im Podcast Invisible Walls Episode 227 betont Satterfield, dass es unfair gegenüber Resident Evil 6 ist es dafür abzustrafen dass es Gameplay-Elemente nutzt die mittlerweile zu Action-Genre Konventionen zählen (d.h. Quick-Time-Events, viele Cutscenes, Coop etc.). Und er hat nicht Unrecht. Denn wenn Resident Evil 4 im Schnitt 90%-Wertungen bekommt und Resident Evil 5 im Schnitt 85%-Wertungen, warum sollte Resident Evil 6 dann so viel schlechter abschneiden, vor allem wenn entsprechende Spielmechaniken in z.B. Call of Duty überall gelobt werden? Doch dabei stellt sich dann die Frage: Was müsste Resident Evil 6 dieser Argumentation nach tun um wirklich schlecht zu sein?
Die zweite Herangehensweise ist es gegen den Strom zu schwimmen. Sei es um seinen ehrlichen, unverfäälschten Eindruck frei von jedem Kontext zu äußern, oder um Aufmerksamkeit zu erhuren - denn im Zeitalter der Review Score Inflation lässt sich beides nicht mehr so einfach voneinander trennen.
So geschehen z.B. bei der Seite GameSpot die Resident Evil 6 in ihrem Review mit einer 4.5 von 10 abgestraft hat. Und das, obwohl Call of Duty nach wie vor - auch mit dem neusten Ableger - im 8.0-Bereich liegt und Resident Evil 5 eine 8.5 von 10 bekommen hat.
Während diese Art der Spielbewertung den Vorteil bietet sich von Zwängen wie anderen Scores zu befreien, läuft man aber auch sehr leicht Gefahr seine Leser zu verunsichern bzw. sich selbst gar unglaubwürdig zu machen. Ist Resident Evil 6 wirklich so viel schlechter als Resident Evil 5? Ist Call of Juarez: The Cartel wirklich besser als Resident Evil 6? Warum wird Black Ops 2 genauso gut bewertet wie Modern Warfare 3, wenn Resident Evil 6 abgestraft wird? Diese Fragen der Leser sind im Zeitalter der Review Score Inflation durchaus an der Tagesordnung.
Doch worauf letztendlich alles hinausläuft, ist der Metascore. Und nach diesem kleinen Gedankenausflug von mir ist die Frage angebracht: Was sagt der Metascore denn jetzt eigentlich aus?
Ist er eine Sammlung von Reviews die sich alle fair an ähnlichen Scores orientieren? Oder sind darin rebellische Scores die alle anderen Spiele im jeweiligen Genre ignorieren? Oder sind darin Seiten mit besonders guten oder negativen Wertungen, um Klicks abzugreifen? Die Antwort ist: Alles ist darin.

Und das wäre nicht schlimm, wenn nicht ein paar verblendete Geschäftsführer von namentlichen Publishern diesen Score als Richtlinie für die Belohnung der Entwickler sowie als Orientierungsinstrument für Innovationen im Gamingbereich sehen würden.

Insofern hoffe ich, dass sich mit dem Anlaufen der neuen Konsolengeneration Ende 2013 ein neues, selbstreflexiveres Bewertungsbewusstsein bei den Spielemagazinen entwickelt. Die Gamingindustrie ist heute längst nicht mehr das was sie 2007 war. Sie ist ein extrem schnell gewachsenes Millionen-, teilweise schon Milliardengeschäft - und entsprechend müssen sich Spielejournalisten stärker über die Konsequenzen ihrer Berichterstattung bewusst werden. Das schlimmste was uns passieren kann ist ein Xbox 720 Launchtitel wie Halo mit 10/10-Wertung.

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